Grün
09

Presse zu den Wahlen 2009



Der Wertkonservative.
Waiblinger Kreiszeitung vom 12.06.09

Warum der Grüne Willi Halder Stimmenkönig von Winnenden wurde: Ein ErklärungsversuchWilli Halder: Ein Grüner ist Stimmenkönig von Winnenden. 6922 Kreuzchen erntete Halder bei der Gemeinderatswahl. Warum landete er so einen Coup? Er habe dafür keine Erklärung – „es gibt keine“. Vielleicht aber doch . . .
Winnenden. Sechstausendneunhundertzweiundzwanzig Kreuzchen: Der Grüne Willi Halder wurde bei der Gemeinderatswahl in Winnenden Stimmenkönig. Auch sonst hat seine Partei an diesem Superwahlsonntag vielerorts abgeräumt. Woran liegt’s?

Eine Spurensuche.

Er, ein Grüner, Stimmenkrösus in einer bürgerlichen und wertkonservativen Stadt wie Winnenden? „Nein“, sagt Willi Halder, er habe dafür keine Erklärung.
In der Tat, ein Volkstribun mit deftigem Stammtisch-Charisma ist er nicht. Sein Humor ist kaum massenkompatibel und hält Fremde eher auf Sicherheitsabstand, als sie zur lachenden Verbrüderung einzuladen: Der leise Sarkasmus kann ins Zynische kippen (wobei Zyniker ja oft bloß gut getarnte Romantiker sind). Und mit seiner rhetorischen Versiertheit und intellektuellen Spitzzüngigkeit tanzt Halder bisweilen auf der Grenze zur Schlaumeierei, ja, Arroganz (wobei der Ton des 50-Jährigen, der Vater einer Tochter und mittlerweile auch Großvater geworden ist, mit den Jahren bescheidener wurde, um nicht zu sagen: altersdemütig).

Kurzum: Einen Stimmenkönig stellt man sich anders vor. Also: Wie lautet die Erklärung? „Es gibt keine.“
Kapitulieren wir vorerst vor der Frage und wenden uns dem grünen Erfolgsphänomen im größeren Maßstab zu: Bei der Europawahl hat die Partei mit 12,1 Prozent ein Rekordergebnis erzielt, in Stuttgart sensationell zugeschlagen. In Tübingen hat sie die 30-Prozent-Marke geknackt, auch in Konstanz und Freiburg ist sie die stärkste Kraft. Das seien eben „Studentenstädte“, mag man einwenden. Aber was heißt das? Es sind Orte, in denen die Bildungselite lebt, Orte, in denen sich die Führungskräfte von morgen auf den Weg machen; genau in dieser gesellschaftsprägenden Schicht sind die Grünen offenbar mehrheitsfähig.

Öko-Gewissen plus Lebensqualität

Die grünen Ideen, die einst als abseitige Spinnereien galten, schrecken kaum jemanden mehr ab. Die Partei, sagt Halder, hat ja auch zu vermitteln gelernt, dass ein Jünger der Grünen kein Asket mit Fahrrad und Wäscheklammer im Hosenbein sein muss und nicht „gelb im Gesicht“ von Fleischverzicht und Körner-Überdosis. Ein „reines ökologisches Gewissen“ lasse sich durchaus vereinbaren mit „Lebensfreude und Lebensqualität“. Und in der Tat schmeckt frisches Gemüse aus heimischem Anbau ja besser als eingeflogener Supermarkt-Fertigfraß. So hat sich die Mitte der Gesellschaft mit den Grünen angefreundet – und umgekehrt.
In den 80er Jahren war Willi Halder Mitglied in einer K-Gruppe, bei der KPD-ML, die auf Mao schwor, und pilgerte nach Albanien zu Enver Hocza. Halder hat daraus nie ein Hehl gemacht, aber „das ist Historie. Ja Gott, so geht jeder seinen Weg.“

Heute heißt es in einer Halderschen Internet-Präsentation: „Die Ökologie fördert das heimische Handwerk und Gewerbe. Wir können die Lebens- und Gestaltungschancen unserer Kinder nicht nur verbrauchen, sondern wir müssen sorgsam mit unseren Ressourcen umgehen. Dies gilt für die Umwelt wie für die Finanzen.“
Solche Ideen haben nichts Umstürzlerisches an sich: Sie beinhalten ein Bekenntnis zur Region, in der man lebt, und zu Werten, zu Lebenswerten, die es verdient haben, bewahrt und nicht zerrieben zu werden im enthemmten globalen Wirtschaftsgetriebe.

All diese Gedanken fasst Halder in einem bemerkenswerten Satz zusammen: „Wertkonservatismus ist ja nichts Schlechtes.“
Wertkonservativ: Früher hätte sich ein Grüner lieber die Zunge abgebissen, als so ein Wort in den Mund zu nehmen. „Stimmt“, sagt Halder. „Aber das ist die Realität.“
Willi Halder ist in Winnenden verwurzelt, er lebt hier als Buchhändler, er versucht beharrlich, als Stadtrat (seit 1992) und als Kreisrat (seit 1994) das Gepräge dieser Gegend mitzugestalten. Man darf ihn heimatverbunden nennen.

Vielleicht führen all diese Überlegungen doch noch zu einer Teilantwort auf unsere Eingangsfrage: Vielleicht ist die Tatsache, dass ein Grüner Stimmenkönig in einem bürgerlichen und wertkonservativen baden-württembergischen Städtchen wird, in Wirklichkeit weder so sonderlich verwunderlich noch so furchtbar erklärungsbedürftig.
Vielleicht drückt sich in der Personalie Halder nur besonders prägnant aus, was die Grünen des Jahres 2009 sind: eine Art Volkspartei der bürgerlichen Mitte.